Die druckgrafischen Porträts als Masterarbeit

Um eine umfangreiche Recherche zu dem bis dato noch nicht bearbeiteten Material für die Tucher Kulturstiftung zu ermöglichen, hatte die Leitung des Instituts für Kunstgeschichte der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Frau Prof. Dr. Strunck meiner Kommilitonin Anja Falderbaum und mir die druckgrafischen Porträts als Abschlussarbeit des Masterstudiengangs Kunstgeschichte für das Wintersemester 2017/2018 vorgeschlagen. Die Arbeiten sollten jeweils aus einem Analyseteil und einem Katalogteil bestehen. Während Frau Falderbaum sich der kunsthistorischen Betrachtung widmete, beschäftigte ich mich mit der historischen Einordnung. Für den jeweiligen Katalogteil wurden die Bildnisse aufgeteilt und einheitlich aufbereitet.

 

Druckgrafische Porträts als Sammlungsgegenstand

Seit dem 16. Jahrhundert wurden vermehrt aus repräsentativen Gründen druckgrafische Porträts bedeutender Personen aus dem geistlichen und gesellschaftlichen Leben für die Öffentlichkeit angefertigt. Die Sammeltätigkeit und die Produktion von Porträtgrafiken nahm seit dieser Zeit deutlich zu. Der Pädagoge und Philosoph Sigmund Jakob Apin (1693–1732) verfasste sogar eine Anleitung, die 1728 in Nürnberg erschien und Strategien des Sammelns und Aufbewahrens druckgrafischer Porträts erläutert. Da diese neben Einzelblättern oftmals auch in der Funktion als Frontispiz, also Titelbild, standen oder Illustration etwa von Chroniken dienten, forderte Apin sogar dazu auf, die Grafiken aus den entsprechenden Büchern herauszutrennen. Im 17. Jahrhundert und Anfang des 18. Jahrhunderts wurden die Bildnisse in den Sammlungen dicht nebeneinander oder einzeln aufgehängt. Apin plädierte jedoch auf eine konservatorische Aufbewahrung in Grafikschränken oder Kassetten. Ab dem 19. Jahrhundert löste die Porträtfotografie das druckgrafische Bildnis in seiner Funktion zunehmend ab.

Ein Paradebeispiel für solche druckgrafischen Bildnisse sind die der Patrizierfamilie Tucher. Sie entstanden zwischen der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts und dem Anfang des 18. Jahrhunderts.

Abb. 1 Ausschnitt aus dem Stammbaum der Familie Tucher unter Berücksichtigung der Ratsherren, Masterarbeit Gäbisch, 2018, Abbildungen der Druckgrafiken von der Tucher Kulturstiftung und den Museen der Stadt Nürnberg, Kunstsammlungen, Grafische Sammlung

Entwicklung einer These

Ausgangspunkt für die Masterarbeiten waren 18 inventarisierte Porträtgrafiken in der Sammlung der Tucher Kulturstiftung, welche größtenteils im Museum Tucherschloss ausgestellt sind. Weitere befinden sich an den Stiftungssitzen Schloss Schoppershof und Schloss Simmelsdorf. Im Laufe der Recherche konnten damals 41 Bildnisse ermittelt werden, wobei fünf Herren durch jeweils zwei Grafiken verewigt wurden. Die umfangreichsten Sammlungen dieser Bildnisse der Patrizierfamilie Tucher befinden sich in der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel sowie in der Grafischen Sammlung der Museen der Stadt Nürnberg.

Die Porträts weisen den gleichen schematischen Aufbau auf: Das männliche Bildnis wird durch eine Legende, welche zumeist in einem Sockel integriert ist und die den jeweiligen Herren sowie seine Lebensdaten und größtenteils auch seinen Beruf nennt, ausgezeichnet. Auffallend ist dabei, dass die meisten Dargestellten in Ratstracht präsentiert und bzw. oder in der Inschrift als Mitglied des Rates vorgestellt werden.

Abb. 2 Schema des Kleineren Rats, Masterarbeit Gäbisch, 2018

Daraus entwickelte ich in meiner Masterarbeit die These, dass die druckgrafischen Porträts der Patrizierfamilie Tucher wohl hauptsächlich, bis auf wenige Ausnahmen, eine Reihe von Ratsherren darstellen. Um dies zu prüfen, erstellte ich zunächst eine Liste mit allen Amtsträgern des Kleineren Rats der Familie Tucher, ehe sie diese in einem eigens erstellten Stammbaum markierte und mit den Porträtgrafiken zusammenführte (Abb. 1).

Es stellte sich heraus, dass viele der Porträtierten nicht der Ratsherrentradition zuzuordnen sind und wohl aus Gründen besonderer Verdienste während ihres Lebens oder wegen ihrer Berühmtheit festgehalten wurden. Zu beachten war außerdem, dass einige der Herren zwar in der Legende als Mitglieder des Rats vorgestellt werden und Amtstracht tragen, es sich jedoch um Vertreter des Größeren Rats handelte.

Die reichsstädtische Ratsverfassung bestand aus dem Größeren (ca. 200–500 Mitglieder) und Kleineren Rat (42 Mitglieder, Abb. 2), auch Innerer Rat bezeichnet, wobei ersterer keine politische Entscheidungsgewalt innehatte und eher selten, z.B. in Krisensituationen, vom Inneren Rat einberufen wurde.

 

Die Tucher’schen Ratsherren des Kleineren Rats

Abb. 3 Johann Carl von Thill (1624–1676), Christoph IX. Tucher (1610–1661), Radierung, Nürnberg, zwischen 1661–1676, Tucher Kulturstiftung, Inv. Nr.: HI Gra 005

Die Familie Tucher zählt zu den ältesten Ratsgeschlechtern der Stadt. Erstmals urkundlich nachweisbar ist dies mit Berthold I. (1310–1379), der 1340 in den Kleineren Rat aufgenommen wurde. Sie saßen meist mit zwei Vertretern bis zum Ende der reichsstädtischen Zeit 1806 in der Ratsstube, sodass im Laufe der Jahrhunderte insgesamt 40 Ratsherren aus dem Geschlecht der Tucher im Kleineren Rat vertreten waren. Grafisch festgehalten wurden allerdings nur 23 von ihnen. Bei genauerer Betrachtung fiel auf, dass mindestens sieben der nicht porträtierten Amtsherren den Rat vorzeitig aus diversen Gründen noch vor ihrem Tod verließen, zum Beispiel um sich vermehrt der Tucher’schen Handelsgesellschaft zu widmen. Dies könnte einen Grund für das Nichtvorhandensein von Grafiken zu diesen Herren erklären.

Abb. 4 Johann Friedrich Leonart (1633–1680) (zugeschrieben), Johann VI. (1428–1491), Radierung, Nürnberg, Museen der Stadt Nürnberg, Kunstsammlungen, Grafische Sammlung, Inv. Nr.: Portr. T 00286 neu, 2

Für die meisten druckgrafischen Bildnisse konnten Vorbilder sowohl im „Großen Tucherbuch“, welches von der Dr. Lorenz Tucher’schen Stiftung 1590 in Auftrag gegeben und 1606 fertiggestellt wurde, als auch in Porträtgemälden, die sich im Tucherschloss und im Schloss Schoppershof befinden, ausfindig gemacht werden.

Abb. 5 Johann Daniel Preißler (1666–1737) / Bernhard Vogel (1683–1737), Paul XII. Tucher (1656–1709), Kupferstich, Augsburg, 1713, Tucher Kulturstiftung, Inv. Nr.: HI Gra 015

Die Ratsherren präsentieren sich mit Ausnahmen von vier Persönlichkeiten in ihrer Amtstracht. Johann VI. (1428–1491, Abb. 4), auch bekannt als Hans VI., ist in einem Pilgergewand zu sehen. Er erlangte große Bekanntheit durch seine Pilgerreise nach Jerusalem, über die er einen weit verbreiteten Pilgerbericht verfasst. Drei weitere Grafiken zeigen Vertreter in militärischer Uniform. Der bedeutendste Kriegsherr in der Familie war der Generalfeldmarschall des Fränkischen Kreises Paul XII. (1656–1709, Abb. 5). Seinem militärischen Erfolg verdankt die Familie 1705 die Immatrikulation in die Fränkische Reichsritterschaft.

Abb. 6 Johann Friedrich Leonart (1633–1680), Johann I. Tucher (1368–1425), Radierung, Nürnberg, 1670, Tucher Kulturstiftung, Inv. Nr.: HI Gra 011

Interessant ist, dass der Grafiker Johann Friedrich Leonart (1633–1680) 13 Radierungen anfertigte, von denen es sich bei zwölf Dargestellten um Ratsherren des Kleineren Rats handelte, die schon zwischen 250 Jahren und 80 Jahren vorher verstorben waren (Abb. 6 & 7). Auffällig ist zudem, dass auch Bildnisse anderer Nürnberger Patrizierfamilien aus seiner Hand größtenteils im gleichen Stil erscheinen.

Abb. 7 Johann Friedrich Leonart (1633–1680), Hieronymus II. Tucher (1493–1536), Radierung, Nürnberg, 1672, Museen der Stadt Nürnberg, Kunstsammlungen, Grafische Sammlung, Inv. Nr.: Portr. T 00282 neu, 1

Weitere Bildnisse

Wahrscheinlich auf Grund der seit dem 16. Jahrhundert zunehmenden Sammeltätigkeit druckgrafischer Porträts sind weitere Bildnisse von berühmten Persönlichkeiten aus der Familie in Auftrag gegeben worden. Meist handelt es sich um Kaufleute der Tucher’schen Handelsgesellschaft, Nürnberger Juristen, Humanisten oder Soldaten. Die Grafiken des berühmten Geistlichen und Humanisten Sixtus I. (1459–1507) sowie des Juristen Lazarus III. (1564–1636, Abb. 8) konnten demnach sogar in den Porträtwerken „Icones virorvm omnivm ordinvm ervditione“ (Bildnisse aller gelehrten Männer) des Nürnberger Schriftstellers und Verlegers Friedrich Roth-Scholtz (1687–1736), publiziert zwischen 1725 und 1728, ausgemacht werden. Ein weiteres Beispiel ist die Darstellung des Andreas VI. (1551–1630, Abb. 9), der in der Legende als Beschützer der Reichsabteilung von Nürnberg bezeichnet wird. Andreas VI. war Jurist und vertrat Nürnberg 1583 und 1587 am Reichskammergericht, dem zweiten obersten Gericht des Reiches, da die Markgrafen von Brandenburg die Stadt verklagten, dass diese ihre Fraischrechte (Rechte der Hochgerichtsbarkeit in schweren Straftaten) missachtet habe. Doch bekamen die Markgrafen für achtunddreißig von vierzig Orten die Gerichtsbarkeit zugesprochen. Trotz des verlorenen Prozesses erhielt Andreas VI. ein druckgrafisches Porträt.

Abb. 8 Anonym, Lazarus III. Tucher (1564–1636), Radierung, Nürnberg, um 1725, Tucher’sche Kulturstiftung, Inv. Nr.: A 060

 

Abb. 9 Johann Jakob Schollenberger (1646–1989), Andreas VI. Tucher (1551–1630), Kupferstich, Nürnberg, um 1668, Tucher Kulturstiftung, Inv. Nr.: A 010

Einen Sonderfall bildet der Kupferstich des Antwerpener Bürgermeisters Johann Anton (ca. 1619–1677, Abb. 10). Die Grafik gilt in der historischen Einordnung der Sammlung als separat zu betrachten, da sie in Antwerpen publiziert und nicht im Nürnberger Kontext einzuordnen ist.

Abb. 10 Pieter Thys (1624–1677) / Alexander Voet d. J. (1637–1689), Johann Anton Tucher (ca. 1619–1677), Kupferstich, Antwerpen (?), 1675, Tucher’sche Kulturstiftung, Inv. Nr.: Hl Gra 013

 

Der Katalogteil

Im zweiten Teil der Masterarbeit erfolgte die Katalogisierung der druckgrafischen Porträts der Tucher Kulturstiftung. Die Blätter wurden kunsthistorisch untersucht und die Dargestellten in ihren Biografien näher beleuchtet (Abb. 11a & 11b). Dabei fiel auf, dass die Individualität in der Ausführung des jeweiligen Tuchers in der Serie von Johann Friedrich Leonart kaum vorhanden ist. Die anderen Ratsherrendarstellungen (Abb. 6 & 7) sind ikonografisch komplexer aufgeladen. Beispielweise wird Paul XII. (Abb. 5) heldenhaft durch Uniform und allerlei militärische Embleme als Soldat inszeniert und gerühmt.

Abb. 11a Katalogseite der Masterarbeit, Daniela Gäbisch, 2018

Abb. 11b Katalogseite der Masterarbeit, Daniela Gäbisch, 2018

 

Fazit

Die vervielfältigbaren druckgrafischen Porträts wurden sicherlich zur Repräsentation des ratsfähigen Tucher’schen Geschlechts geschaffen. Darüber hinaus entstanden weitere Porträts bedeutender Familienmitglieder. Zwar lag der Schwerpunkt der Masterarbeit auf den druckgrafischen Porträts der Familie Tucher. Die angewendeten Methoden und Teile unserer Erkenntnisse ließen sich aber sicherlich auch auf andere Nürnberger Patrizierfamilien übertragen.

Obwohl solche Bildnisse im Vergleich zu farbigen und großformatigen Gemälden womöglich zunächst eher unspektakulär erscheinen, sind sie bei näherer Betrachtung künstlerisch und ikonografisch spannende Dokumente, die nicht nur stadtgeschichtliche Bedeutung tragen.