Jugend und Familie
Anton II. Tucher (Abb. 1) wurde 1458 in die wohlhabende Kaufmannsfamilie Tucher geboren. Er war eins von 13 Kindern. Nur zwei Töchter und zwei Söhne wurden erwachsen. Anton II. als der ältere Sohn sollte die Handelsgesellschaft der Familie übernehmen, während sein jüngerer Bruder Sixtus I. auf die Universität geschickt wurde, um einen geistlichen Beruf zu ergreifen. Der Vater Anton I. Tucher (1417‒1476, Abb. 2) war ein führendes Mitglied im Rat der Stadt und rückte während Antons II. Schulzeit (1469) als Vorderster oder 1. Losunger an die Spitze der Nürnberger Stadtregierung. Er schickte Anton II. bald darauf nach Venedig – der wichtigsten Nürnberger Handelspartnerstadt. Dort erlebte Anton II. die modernsten kaufmännischen Methoden, lernte die Sprache und bekam in der venezianischen Niederlassung der Tucherschen Handelsgesellschaft erste Führungsverantwortung.

Abb. 1: Anton II. Tucher (1458‒1524), Miniatur im Großen Tucherbuch
Mit 17 Jahren war Anton II. zurück in Nürnberg und heiratete Anna Reich. Die beiden bekamen elf Kinder. Auch hier erreichten nur vier Kinder das Erwachsenenalter und nur sein Sohn Linhart überlebte seinen Vater. Antons II. Frau wird ebenfalls nicht alt. Als sie kurz nach den letzten beiden Kindern starb, heiratete Anton II. nicht mehr und lebt seine restlichen 31 Lebensjahre als Witwer.
Doppelrolle als Unternehmer und Ratsmitglied
Zwei Jahre nach der Hochzeit – mit 19 Jahren – kam Anton II. für seinen verstorbenen Vater Anton I. in den Inneren Rat der Stadt. Er rückte auch in die Leitung der Familiengesellschaft auf und weitete deren Tätigkeit bis nach Frankreich und Spanien aus. Er arbeitete hart und war viel unterwegs ‒ nicht nur für die Tuchergesellschaft, sondern zunehmend auch für Nürnberg. Für die Stadt war er ein geschickter und erfolgreicher Verhandler an Fürstenhöfen und auf Reichsversammlungen. Viele Jahre war er Unternehmer und führender Politiker zugleich.
Im Rat der Stadt stieg Anton II. schnell auf, mit 34 war er bereits als sogenannter Älterer Herr im Machtzentrum der Stadt angekommen. Die sieben Älteren Herren trafen sich täglich im Rathaus und führten die Regierungsgeschäfte, sie hatten die Oberhoheit über alle Machtbereiche (Legislative, Exekutive und Judikative) in der Stadt und dem zu Nürnberg gehörenden Umland. Das Nürnberger Territorium konnte die Stadt im Landshuter Erbfolgekrieg 1504 mehr als verdoppeln. Anton II. Tucher war daran maßgeblich beteiligt, denn er war als 3. Oberster Hauptmann in der Stadtregierung für das Nürnbergische Heer zuständig, das mit ca. 5.000 Mann in den Krieg eingriff und nach sorgfältiger Vorbereitung und ohne viel Blutvergießen die Ämter Lauf, Hersbruck und Altdorf eroberte. Beim Friedenschluss bekam Nürnberg diese Ämter dann vom Kaiser zugesprochen.

Abb. 2: Anton I. Tucher (1417‒1476), Miniatur im Großen Tucherbuch
Nach dem Ende des Kriegs wurde Anton II. Tucher mit 47 Jahren zum 2. Losunger berufen und damit verpflichtet, seine Tätigkeit in der Familiengesellschaft aufzugeben. Nun arbeitete er nur noch in der Ratsstube. Wie der damalige Ratskonsulent Dr. Christoph Scheurl im Großen Tucherbuch bemerkt, kam er als Erster, ging als Letzter und trieb Mitarbeiter und Kollegen unermüdlich an. Zwei Jahre später wurde er 1. Losunger und blieb dies für 18 Ratsgänge.
Antons II. Hauptanliegen während seiner Amtszeit war die erfolgreiche Integration der neugewonnenen Landgebiete in den Nürnberger Staat, der Aufbau einer entsprechend größeren Verwaltung und die Reform der Kirche. Er war Gastgeber, Geldgeber, Unterstützer und Freund von Sachsens Kurfürst Friedrich dem Weisen, mit dem er einen regen Informationsaustausch zu großem beiderseitigem Nutzen unterhielt: Der Kurfürst erhielt die neuesten politischen Nachrichten, die Anton II. von den Tucherschen Niederlassungen und Geschäftspartnern aus aller Welt bekam und schickte dafür Mitteilungen von und über Martin Luther.
Glaube und kirchliches Engagement
Denn Luther, Glaube, Kirche und deren Reform interessierten Anton II. Tucher brennend. Immer wieder wird deutlich, wie sehr er von tiefer spätmittelalterlicher Frömmigkeit durchdrungen war. Sein Bruder Sixtus und sein Vetter Lorenz gehörten als Pröpste von St. Lorenz zu den höchsten Vertretern der Amtskirche in Nürnberg. Sie hatten sich die Stelle nach damaliger Praxis durch Zahlungen an hohe geistliche Würdenträger erkaufen müssen. Nicht nur deshalb gehörten die Tucher zu den engagierten Befürwortern einer großen Kirchenreform. Mit der Berufung von reformwilligen Pröpsten ‒ und durch diese mit der Berufung von lutherisch gesinnten Predigern ‒ förderten Anton II. und die Stadtregierung die neue Lehre, wo sie konnten. Im Februar 1524 fand in Nürnberg die erste Taufe in deutscher Sprache statt. Und kurz vor seinem Tod erhielt Anton II. das Abendmahl bereits in beiderlei Gestalt – mit Brot und Wein. Die Erneuerung der Kirchen war für Anton II. eine Herzensangelegenheit, aber als Politiker wollte er sie langsam auf dem Reformweg erreichen und eine Spaltung unbedingt vermeiden.

Abb. 3: Veit Stoß, Engelsgruß, 1517
Antons II. Frömmigkeit äußerte sich auch ganz praktisch in vielen Stiftungen für Spitale, Klöster und Kirchen. Mit der heute in St. Sebald befindlichen Figur des heiligen Andreas gaben die Tucher Veit Stoß direkt nach seiner Entehrung wieder einen großen Auftrag. Danach rissen die Tucherschen Aufträge an den Künstler bis zu Antons II. Tod nicht mehr ab. Den wichtigsten Auftrag bekam Stoß 1517 für den Engelsgruß in St. Lorenz und den dazugehörigen Marienleuchter (Abb. 3). In diesem als Rosenkranzgebet gestalteten Kunstwerk wird Antons II. intensiver Glaube besonders sichtbar. Obwohl dies sein Privatauftrag war, hat er sein Wappen darauf nicht anbringen lassen. Es scheint typisch für Anton II., dass ausgerechnet von ihm kein zeitgenössisches Porträt überliefert ist – heute existieren nur posthum angefertigte Bilder wie die Miniatur im Großen Tucherbuch (Abb. 1). Im Urteil der Zeitgenossen und der Nachwelt war Anton II. Tucher ein besonders genügsamer, anspruchsloser Mann. Seine Haushaltsbücher, die bis heute eine Fundgrube für die Konsumforscher des späten Mittelalters darstellen, unterstreichen dies eindrucksvoll.
Förderer der Kunst
Dennoch hat gerade er das Erscheinungsbild seiner Stadt nachhaltig beeinflusst. Ohne ihn sähen Nürnberg und seine Kirchen anders aus. Während seiner 19 Jahre als Sebalder Kirchenpfleger wurde die Neuverglasung des Sebalder Chorhaupts nach Entwürfen der Dürerwerkstatt vollendet. Als Kirchenpfleger war er 1507 auch Auftraggeber des großen Sebaldusgrabs an die Werkstatt von Peter Vischer (Abb. 4). Dieses Kunstwerk ‒ das wichtigste und teuerste der Kirche ‒ ist Zeugnis für Antons II. Führungsfähigkeiten und Überzeugungskraft. Als das Grabmal aus Geldmangel 1519 immer noch nicht fertig war, lud er an drei aufeinanderfolgenden Tagen die angesehensten Bürger ins Rathaus ein ‒ allein aus dem Kaufmannstand erschienen 180 Personen. Anton II. erklärte allen, wieviel Geld noch fehlte und bat sie um Spenden. Das Geld kam schnell zusammen und bereits drei Monate später wurde das Kunstwerk in der Kirche aufgestellt. Wer weiß, was sonst daraus geworden wäre!

Abb. 4: Peter Vischer und Werkstatt, Sebaldusgrab, 1519
Anton II. Tucher initiierte außerdem die großen Stadtaufträge an Albrecht Dürer (u.a. die Kaiserbilder und Wandmalereien im Rathaussaal) und als persönliches Vermächtnis für seine Stadt beauftragte er Veit Stoß mit einem Drachenleuchter für die neue Ratsstube, den er privat bezahlte (Abb. 5).

Abb. 5: Veit Stoß, Drachenleuchter, 1522
Anton II. Tuchers Vermächtnis
Als Politiker wie als Unternehmer stand Anton II. Tucher in der Reihe seiner Vor- und Nachfahren (Abb. 6). Sein Urgroßvater und sein Vater standen bereits als 1. Losunger an der Stadtspitze und 20 Jahre nach Antons Tod wurde sein Sohn Linhart (1487‒1568) ebenfalls 1. Losunger. Alle waren sie Leiter der Tucherschen Handelsgesellschaft, bis sie es nicht mehr mit ihren politischen Ämtern vereinbaren konnten. Und noch in Antons II. Todesjahr 1524 wurde sein Enkel Paul IV. geboren, der die Handelsgesellschaft der Familie nochmal zu einer letzten Blüte brachte.
Anton II. Tucher war nicht nur Nürnbergs führender Politiker seiner Zeit ‒ er war eine Persönlichkeit: engagiert, pragmatisch und menschlich überzeugend. In einer Umbruchzeit war er ein Glücksfall für die Stadt. Und durch seine großzügige und engagierte Unterstützung von Künstlern und Kirchenreformern ist sein Wirken bis heute sichtbar geblieben.
Dieser Beitrag erscheint auch im Blog der Bauhütte St. Sebald