Rendezvous im Atelier
Ein schöner junger Mann sieht mich aufmerksam an. Er hat sich fein gemacht: elegant, mit Frack, unter der Weste ein blütenweißes Hemd und mehrfach geschlungene Krawatte – die Mode des frühen 19. Jahrhunderts. Dazu die Frisur: Die Herren haben sich das Haar kurz schneiden lassen und es dann glatt ins Gesicht gekämmt. Auch ein langer Backenbart rahmt sein blasses, feines Gesicht ein. Ich, eine Restauratorin mit Schürze und Stoffhandschuhen, betrachte ihn mit kritischem, prüfendem Blick. Die Begegnung findet statt in meinem Atelier in Nürnberg. Neben den vielen Farben, Pinseln und Lösungsmitteln liegt er nun auf meinem Arbeitstisch. Der gepflegte Herr heißt Gottlieb Friedrich Wilhelm Karl von Tucher. Er ist 27 Jahre alt, als ihn der Miniaturmaler Heller, dessen Vorname uns heute nicht bekannt ist, 1837 porträtiert. Dieses Datum und seinen eigenen Nachnamen hat der Künstler am linken Ärmel des jungen Adeligen vermerkt. Heller ist ein Könner. Die dunkle Kleidung, der dunkle Hintergrund lassen von Tuchers helles, porzellanhaftes Gesicht in der Bildmitte leuchten.
Elefanten sorgen für vornehme Blässe
Künstler wählen damals als Bildträger für Porträts gerne dünn aufgeschnittene Elefantenzähne. Elfenbein ist bestens geeignet, um die Gesichtsfarbe der Porträtierten natürlich darzustellen. Ihr Teint wirkt auf diesem Untergrund frisch, fast durchsichtig, die Zahnfarbe betont die in der Zeit so geschätzte Blässe. Auf Papier gemalte Gesichter haben dagegen etwas kalkiges. Und Pergament lässt die Haut gelblich erscheinen.
Die Miniaturisten kaufen im 19. Jahrhundert Elfenbeinblätter beim Farbwarenhändler, im Rohzustand und fein gesägt. Vor dem Malen erledigen sie noch zahlreiche Arbeitsschritte: Entfernen der Sägespuren, Anrauen der glatten und wasserabstoßenden Oberfläche mit Bimsstein, Entfetten mit Ochsengalle oder Knoblauchsaft, Bleichen mit salzhaltigem Wasser. So schaffen sie die geeignete Oberfläche für die feine und zarte Malerei.
Meister Heller
Das Bild von Heller ist ein Meisterwerk. Zusammen mit dem Gemälde von Tuchers Frau Marie Luise Katharina Karoline zählt es zu den Schmuckstücken der Sammlung der Tucher Kulturstiftung im Museum Tucherschloss und Hirsvogelsaal. Durch die filigrane Maltechnik erscheint es wie eine moderne Fotografie. Für Hellers feine Pinsel ließen Kamele, Eichhörnchen, Marder oder Angorakatzen ihre Haare. Er nutzt Gouache, mit Wasser angerührte Pigmente. Der Aufbau des Bildes beginnt mit dem Hintergrund. Heller trägt Farbe so dünn auf, dass die Maserung des Zahnes an einigen Stellen durchschimmert. Das Gesicht legt er flächig mit mehreren Lasuren an. Für Augen, Nase und Mund wechselt er zum feinsten Pinsel. Punktend und strichelnd entstehen die charakteristischen Gesichtszüge.
Karl von Tucher sitzt Heller wohl sieben bis zehn Stunden Modell, verteilt über mehrere Tage. Das berichten Zeitgenossen über den Aufwand für diese Malerei.
Elfenbein – ein besonders empfindlicher Bildträger
Auf lange Sicht lohnt sich die Mühe nicht immer. Denn leider ist Hellers Bild heute in keinem guten Zustand. Lange Risse teilen das Porträt von oben nach unten in mehrere parallele Streifen. Die Ursache: Elfenbein reagiert wie Holz auf Feuchtigkeit und Trockenheit, das Material quillt und schwindet je nach Umgebung. Im Alter wird es spröde und brüchig, verliert an Elastizität und zunehmend an Volumen. Elfenbein verändert sich, rückseitig aufgeklebte Pappe dagegen nicht. So entsteht Spannung, das Blatt verformt sich und kann reißen. Ist es im Rahmen flach fixiert, was immer der Fall ist, löst sich der Bildträger noch zusätzlich vom Untergrund. Auch dadurch entstehen Risse. Ein grundsätzliches Problem für Elfenbein: zu geringe Luftfeuchtigkeit und wechselnde Temperaturen in den Räumen.
Das Tucher-Porträt ist an einigen Stellen gewölbt, verhärtet und starr. Nach 200 Jahren taucht auch dieser Mangel häufig auf. Eine mögliche Erklärung: Elfenbeinverarbeiter schneiden und sägen ihren Werkstoff nicht nur, sie schälen ihn auch aus dem Zahnumfang. Diese sogenannte «Schälfurniermethode» ermöglichte sehr dünne Blätter in einer maximalen Größe von 43 × 95 cm. Mit Hilfe von Feuchtigkeit und Druck wurden sie plan auf ein festes Kartonblatt geklebt. Sie haben später stets die Tendenz, in die ursprüngliche Wölbung zurückzukehren.
Restaurierungsprobleme
Künstler nutzten oft die Endstücke der Stoßzähne und schufen die typischen ovalen Miniaturen. Maler Heller wählt für das Porträt von Karl von Tucher ein rechteckiges Format in der Größe 13,5 × 10,4 cm. Er klebt das nur 0,4 Millimeter dünne Elfenbeinblatt zur Stabilisierung auf Papier, Pappe und Holz. Ob er mehrere Elfenbeinblätter zusammensetzte, oder ob er gar geschältes Material verwendet hat, das kann ich heute nicht feststellen. Denn für die nötigen Untersuchungen und Restaurierungsarbeiten trenne ich normalerweise das Gemälde von der Unterlage mit einem Skalpell – in diesem Fall nicht, denn die Gefahr ist groß, das Werk mit den vielen Rissen noch weiter zu zerstören. Danach könnte das Bild eventuell in einzelnen Streifen vor mir liegen.
Und wie schon erwähnt, das Werk ist an einigen Stellen gewölbt und verhärtet. So müsste ich es nicht ohne Risiko für die Malschicht «planieren», das heißt auf der Rückseite befeuchten und mit Gewichten beschweren. Nur so können die Einzelteile wieder glatt mit Japanpapier auf der Rückseite zusammengefügt werden. Doch auch das wäre auf Dauer keine Lösung und würde erneut zu Spannung führen. Die Gefahr der Rissbildung ist nicht gebannt.
Schaden akzeptieren
Maler Heller hat Gottlieb Friedrich Wilhelm Karl von Tucher auf einem Untergrund verewigt, der Menschen heute noch sehr lebendig erscheinen lässt, der aber über die Jahre selbst sehr intensiv «lebt». Eine Restaurierung ist in meinen Augen sehr riskant und garantiert keine dauerhafte Lösung. Bernhard von Tucher, Geschäftsführer der Tucher Kulturstiftung, und ich haben die Risiken und Möglichkeiten besprochen und beschlossen, den aktuellen Zustand zu akzeptieren. Denn das Gemälde auf Elfenbein hat trotz seiner Risse an Ausstrahlung nicht verloren.