Abb. 1 Stadtplan von Antwerpen, ca. 1572, Kupferstich von Georg Braun und Frans Hogenberg (Wikicommons: Mylius)

Antwerpen in der Frühen Neuzeit

Städte wie Genf, Venedig oder Lyon waren wegen ihres ausgeprägten Fernhandels und ihrer Bildungsmöglichkeiten für Nürnberger Kaufmannsfamilien reizvoll. Die Tucher‘sche Handelscompagnie unterhielt dort Niederlassungen und Familienmitglieder ließen ihre Söhne hier zu ihren beruflichen Nachfolgern ausbilden. Solch ein Ort war auch Antwerpen. Ende des 15. Jahrhunderts entwickelte sich die Stadt zu einem aufstrebenden Handelsplatz mit der Schelde als Fernhandelsmöglichkeit. Diese nutzten internationale Händler, unter ihnen zahlreiche Nürnberger. In der Folgezeit erlebte Antwerpen eine wirtschaftliche Blüte. Während des 15. und 16. Jahrhunderts entwickelte sich die Stadt zu einem künstlerischen und intellektuellen Zentrum. Die Antwerpener Malschule war international anerkannt und zog Künstler in die Stadt. Etwa lebte und arbeitete der Maler Peter Paul Rubens hier, dessen Werk bis heute die Kunstlandschaft der Stadt prägt.

 

Die »Antwerpener Linie«

Die Tucher kamen im 16. Jahrhundert nach Antwerpen, um hier einen Handelsstandort zu etablieren. Über Generationen lebten Familienmitglieder in der Stadt, sodass heute von einer »Antwerpener Linie« gesprochen werden kann. Als ihr Begründer gilt Lazarus Tucher (1492–1563). 1519 ließ er sich in Antwerpen nieder, ein Jahr vor der Hochzeit mit der Tochter eines angesehenen Antwerpener Kaufmanns, Jacobina Coquiel (†1579). Lazarus erlangte durch geschickte Börsenspekulation eine führende Stellung im Bank- und Börsengeschäft. Anfangs diente er anderen Kaufmannsfamilien als Agent und Makler. Später unterstützte er als Finanzagent Kaiser Karl V., die Könige von Spanien, England und Portugal und die Regentinnen der Niederlande. Er stieg zum kaiserlichen Rat Karls V. und zum königlichen spanischen Rat Phillips II. auf. Doch beharrte Lazarus sein Leben lang auf sein Nürnberger Bürgerrecht. Ihm nachfolgende Generationen waren ebenfalls beiden Orten verbunden. Wie in Nürnberg entwickelten sich seine Nachkommen im 17. Jahrhundert zu einflussreichen Bürgern Antwerpens.

Abb. 2 Lazarus I. Tucher (1492–1563), Miniatur im Großen Tucherbuch (Stadtarchiv Nürnberg E29/III, 258, fol. 130r)

Die Reise

Um mehr über die Präsenz der Familie Tucher und ihre Spuren in Antwerpen zu erfahren, nahm ich mir vor, die alte Handelsmetropole selbst zu erkunden. Doch wie bereitet man sich aus der Ferne auf eine solche Reise vor? Dank reicher historischer Quellen und einiger Forschungsliteratur lassen sich die Beziehungen der Tucher ins Ausland heute auch vom Schreibtisch aus gut nachvollziehen.
Ich begann also zunächst zu recherchieren: Auch die »Antwerpener Linie« wurde bereits ausführlich in der geschichts- und kunstwissenschaftlichen Literatur behandelt. Daran anknüpfend stellte ich Informationen zu Familienmitgliedern, ihren Berufen sowie mit ihnen verbundenen Orten innerhalb Antwerpens zusammen. Nach einem Abgleich mit zuvor von der Tucher Kulturstiftung gesammelten Informationen entstand eine Liste, die mir eine Vorstellung davon gab, was mich vor Ort erwartete. So konnte ich verschiedene Stationen meiner Reise festlegen, an denen womöglich noch heute Zeugnisse der Tucher erhalten sind: das Rathaus als politischer Ort, die Liebfrauenkathedrale und die Kirche Sint-Jacob als religiöse Räume und die Kammenstraat als Ort des wirtschaftlichen Handel(n)s.

 

Abb. 3 Antwerpener Rathaus (Foto: Lisa Hauenstein)

Die politische Sphäre: Antwerpener Rathaus

Da zwei Tucher als Ober-/Bürgermeister in Antwerpen wirkten, war das Rathaus der erste Halt meiner Reise. Es entstand im 15. Jahrhundert als Ersatz für das Schöffenhaus. Die prachtvolle Hauptfassade vereint gotische Elemente mit italienischer Renaissance. Dort angekommen wurde ich von einer Mitarbeiterin durch die Räume geführt. Gleich als erstes traten wir in einen prunkvoll gestalteten Raum mit holzvertäfelten Wänden und farbig bemalten Fenstern ein. An den Konsolen der Holzdecke reihten sich umlaufend verschiedenste Wappen aneinander. Also legte ich den Kopf in den Nacken und sah mich um, bis ich schließlich auch ein Tucher‘sches Wappen entdeckte – der erste Hinweis auf ihre Präsenz in Antwerpen.

Abb. 4 Tucher’sches Wappen im Antwerpener Rathaus (Foto: Lisa Hauenstein)

Danach betraten wir einen Sitzungssaal mit goldenen Wandvertäfelungen, die die Namen und Amtszeiten aller Bürgermeister Antwerpens eingraviert hatten. Auf den Tafeln, die das 17. Jahrhundert abdeckten, fand ich Robrecht (1587–1644) und seinen Sohn, Jan Antoon Tucher (1619–1677). Robrecht war in den Jahren 1622 bis 1641 erster bzw. zweiter Bürgermeister. Jan Antoon bekleidete das Amt von 1661 bis 1671. So schreibt sich die Familie am Ort des politischen Handelns in Antwerpen bis heute ein.

Abb. 5 Goldene Tafel im Antwerpener Rathaus, graviert mit Namen und Amtszeiten der Bürgermeister von 1651 bis 1673 (Foto: Lisa Hauenstein)

Die religiöse Sphäre: Liebfrauenkathedrale und Jakobskirche

Nach dem Einblick in das Rathaus, wo die Tucher wegen ihres politischen Engagements verewigt sind, ging es weiter in die religiöse Sphäre. Meine nächste Station war die Onze-Lieve-Vrouwekathedraal – die Liebfrauenkathedrale. Ihr gigantischer Turm prägt das Antwerpener Stadtbild maßgeblich. Da die Rats- und Domkirche schon zur Zeit der Tucher eine wichtige Kirche war, liegt nahe, dass sich hier Zeugnisse der einflussreichen Familien der Stadt befinden. Während meiner Recherche stieß ich auf das Grab des Bartholomäus Tucher, des jüngeren Bruders von Lazarus, welches sich hier befinden soll. Auch die Wappen des Lazarus Tucher und seiner Frau, Jacobina Coquiel, werden in einem → Buch von J.E. Buschmann über die Ausstattung der Kathedrale aus dem Jahr 1856 erwähnt. Nach langer Suche war jedoch nichts davon aufzufinden. Beide Objekte waren wohl im späten 19. Jahrhundert noch vor Ort. Über ihren heutigen Verbleib ist derzeit nichts bekannt.

Abb. 6 Ansicht der Westfassade der Liebfrauenkathedrale (Foto: Lisa Hauenstein)

Ein letztes, ursprünglich hier befindliches Objekt sollte ein von Bürgermeister Robrecht Tucher gestiftetes Fenster sein. Es soll Kaiser Karl V. und seine Frau Isabella von Portugal sowie das Tucherwappen gezeigt haben. Laut einem → Aufsatz aus dem Jahr 1841 sei das Fenster aber bereits bis auf das Wappen zerstört worden sein. Daher ist es nicht überraschend, dass ich die Wappenscheibe bei meinem Rundgang nicht mehr finden konnte. Auch ihr Verbleib ist heute unbekannt. In der Kathedrale haben heute folglich keinerlei historische Zeugnisse der Tucher überdauert.

Abb. 7 Innenraum der Sint-Jacobskerk nach Osten (Foto: Lisa Hauenstein)

Als Nächstes besuchte ich die Sint-Jacobskerk. Die Basilika im Stil der Brabanter Gotik zählt zu den größten Kirchen Antwerpens. In der Literatur sind die Bestattungen des Ritters Ambrosius Tucher (1521–1553) mit seiner Frau Maria, einer Nachfahrin der flandrischen Adelsfamilie van Ursel, sowie Epitaphien des Bürgermeisters Jan Antoon und seiner Tochter Maria Antonie Balthuine (um 1652–1725) in der Sint-Jacobskerk erwähnt. Weiterhin soll ein Glasfenster Bildnisse von Ambrosius Tucher und Maria Ursel gezeigt haben. Ein Aquarell aus dem Sepulkralbuch der Jakobskirche, dem »Wapenboek der Kerk […]« aus dem beginnenden 18. Jahrhundert über die künstlerische Ausstattung der Sint-Jacobskerk, zeigt den Zustand dieses Fensters um das Jahr 1706.

Abb. 8 Aquarell des Tucher-Ursel-Fensters, um 1706, Sepulkralbuch (RAAKASJA 2641, fol. 77r. Abbildung aus: Jeffrey Muller, St. Jacob’s Antwerp Art and Counter Reformation in Rubens’s Parish Church, Leiden/Boston 2018, S. 330, Abb. 8.16)

Bei meinem Rundgang begleitete mich die Kustodin der Kirche, Helena Vanloon. Wegen Restaurierungsmaßnahmen war bei meinem Besuch nur die westliche Hälfte des Kirchenraumes zugänglich, in dem sich aber auch die Grablege der Tucher in einer Kapelle im südlichen Seitenschiff befindet. Hier, im ersten Joch, folgen auf einen marmornen Altar an der östlichen Wand der Kapelle an der südlichen Wand mehrere Reliefs mit Szenen des Leidensweges Christi. Ein schlichtes Epitaph unterbricht diese Serie – gewidmet Marie Antonie Balthuine Tucher, der Tochter von Jan Antoon Tucher und Susanna de Cordes. Es besteht aus einem Reliquienschrein aus dunklem Marmor, der unmittelbar unter dem Fenster hängt. Geschwungene Ornamente rahmen beidseitig eine kleine, hochrechteckige Wandnische mit einer Glastüre. Darüber thront eine Büste. Die goldene Inschrift unter dem Türchen verrät, dass es sich um den heiligen Antonius handelt. Direkt unter dem Schrein ist eine gravierte Kupferplatte angebracht, die von weißem Marmor umrahmt wird.

Abb. 9 Epitaph der Marie Antoine Balthuine Tucher (Foto: Lisa Hauenstein)

An der westlichen Wand der Kapelle prangt über Kopfniveau ein weiteres Epitaph: das marmorne Gedächtnisbild des Jan Antoon Tucher. Der Sohn von Robrecht Tucher und Catharine de Berchem ist auch unter den französischen und latinisierten Versionen seines Vornamens, Jean Anthoine und Johannes Antonius, bekannt.  Ein rundes Medaillon zeigt ein Porträt des Verstorbenen, gerahmt von seinen Familienwappen sowie denen seiner Frau. Damit befindet sich das Epitaph bis heute an seinem ursprünglichen Platz.

Abb. 10 Epitaph des Jan Antoon Tucher (Foto: Lisa Hauenstein)

Zudem ist ein Bodengrab in den Kapellenboden eingelassen. Dessen Oberfläche ist jedoch stark abgetragen, die Darstellung kaum zu erkennen. Mittig waren zwei betende Figuren eingemeißelt. Oben halten Engel mit Trompeten zwei Schilde. In ihrer Mitte befindet sich das von einem Kranz umschlossene Tucherwappen. Weder die Gesichter des Paares noch die Schildverzierungen sind sichtbar. Eine historische Umzeichnung zeigt die Rahmung der Figuren mit allen Wappen: Der linke Putto hält das Wappen der Tucher, der rechte das Allianzwappen der Tucher und Ursel. Am Rand folgen verwandte Familienwappen. Auch die Inschriften sind erfasst und identifizieren die linke Figur als Ritter Ambrosius Tucher, die rechte als seine Frau, Maria van Ursel.

Nach dem zuvor erwähnten prunkvollen Fenster des Ehepaares sah ich mich jedoch vergeblich um. Der Verbleib der Scheiben ist unklar.

Abb. 11 Bodengrab des Ambrosius Tucher und der Maria Ursel (Foto: Lisa Hauenstein)

Abb. 12 Aquarell des Bodengrabes vor der Oberflächenerosion, um 1706, Sepulchralbuch, (RAAKASJA 2641, fol. 72r. Abbildung aus Muller 2018, S. 527, Abb. 10.25)

 

Die wirtschaftliche Sphäre: Kammenstraat

Der letzte Halt meiner Reise war der Ort der Handelsniederlassung der Tucher. Sie befand sich seit 1529 im sogenannten »Hause zum Weißen Falken« in der Kammerstraße. Dabei handelt es sich um die Kammenstraat, eine Straße unweit der Liebfrauenkathedrale im Zentrum der Stadt. Auch die Nürnberger Patrizierfamilie Hirschvogel hatte nahe diesem Standort ihre Niederlassung. Heute lässt die Straße allerdings nichts mehr davon vermuten. Die Häuser tragen mittlerweile historisierende Fassaden, die die Stile der damaligen Zeit aufgreifen. Ein Eckhaus aus dem späten 19. Jahrhundert hat neoklassizistische Elemente, während ein anderes Reihenhaus derselben Zeit die neo-flämische Renaissance wiederaufleben lässt. Aus der Zeit der Tucher sind damit keine Reste erhalten. Das Handelskontor musste wohl auch späteren Überformungen weichen. Über das »Haus zum Weißen Falken« gibt es lediglich historische Erwähnungen.

Abb. 13 Ansicht der Kammenstraat mit Blick auf Liebfrauenkathedrale (Foto: Lisa Hauenstein)

Das patrizische Erbe

Was heute vom Wirken der Tucher in Antwerpen übrig ist, zeigen die Stationen meiner Reise: Das Rathaus bezeugt die Tätigkeit von Robrecht und Jan Antoon Tucher als Ober-/Bürgermeister Antwerpens. Inschriften zu ihren Amtszeiten sowie ein Tucherwappen sind vor Ort zu finden. In der Sint-Jakobskerk dokumentieren die Epitaphien und das Bodengrabmal in der Tucherkapelle das Leben von Ambrosius Tucher und Maria Ursel, Jan Antoon Tucher und Maria Antonie Balthuine. Jene, in der Literatur überlieferten Zeugnisse, die sich bis ins späte 19. Jahrhundert in der Liebfrauenkathedrale befanden, sind heute zumindest am ursprünglichen Ort verloren. Auch das »Hause zum Weißen Falken« als Handelskontor der Tucher in der Kammenstraat ist nicht mehr anzutreffen.

Auffällig ist, dass in Antwerpen keine materiellen Zeugnisse des Lazarus Tucher als Begründer der Antwerpener Linie zu finden sind. Seine Präsenz in der Stadt wird vor allem durch Briefe über seine Handelstätigkeit bezeugt. Diese befinden sich heute als Teil des Tucher’schen Familienarchivs im Stadtarchiv Nürnberg.

Die Tucher prägten mit anderen Patrizierfamilien den Handel in Antwerpen im 16. und 17. Jahrhundert. Ähnlich wie in Nürnberg lenkten sie zudem die politischen Geschicke der Stadt und genossen ein hohes Ansehen. Ihre Verbindung zu hochgeachteten Familien wie den Ursel oder Coquiel zeugt von einem hohen sozialen Stand in der Antwerpener Lebenswelt der Frühen Neuzeit.