Kleinod vor der Stadtmauer
Der Englische Gruß von Veit Stoß fasziniert bis heute. Immer noch strömen Touristen in die Nürnberger Stadtkirchen St. Sebald und St. Lorenz, um von Mitgliedern der Familie Tucher einst gestiftete Kunstwerke zu bestaunen. Weniger bekannt sind dagegen die Stiftungen an die außerhalb der Nürnberger Stadtmauer, im heutigen Stadtteil Wöhrd stehende Kirche St. Bartholomäus. Dabei sind Geschichte und Ausstattung des Gotteshauses seit Jahrhunderten eng mit der Familie Tucher verbunden.
Früher Denkmalschutz
Nicht alle Werke aus dieser Kirche haben sich jedoch erhalten. Woher wissen wir dann von ihnen? Ab dem 18. Jahrhundert ließen die Tucher ihre Stiftungen an Kirchen in Nürnberg und dem Umland in 72 kolorierten Zeichnungen festhalten. Die aussagekräftigen Darstellungen wurden 1937 unter dem Namen «Tucherische Monumenta» zu einem Band zusammengefügt. Die Anfertigung der Zeichnungen hängt eventuell mit einem sogenannten «Ratsverlass» aus dem Jahr 1729 zusammen, in dem auf Anordnung der Stadtregierung «ein taugliches und um billigen Preiß arbeitendes Subjectum» gesucht wird, um die «merckwürdigsten Monumenta» in den städtischen Kirchen zu erfassen und zu zeichnen. Bei der Gelegenheit sollen auch «die in denen Kirchen und Capelln hin und wieder sehr übel verwahrte Schilder und Tafeln mögten gesäubert und an ein bequemeres Ort gebracht» werden.1
«Tucherische Monumenta» in St. Bartholomäus in Wöhrd
Die Zeichnungen der «Tucherischen Monumenta» verwahrt heutzutage das Stadtarchiv Nürnberg. Sie sind ein wahrer Schatz, da sie uns einen anschaulichen und detaillierten Eindruck vieler verlorener Nürnberger Kunstschätze aus nicht mehr existierenden Kirchen und Klöstern geben. So auch aus der 1943 im Zweiten Weltkrieg stark zerstörten Bartholomäuskirche in Wöhrd.
Die Bartholomäuskirche – ein Gebäude mit bewegter Geschichte
Relativ wenig bekannt ist über eine erste Kirche, die zwischen 1396 und 1418 im östlichen Nürnberger Vorort Wöhrd erbaut wurde. Im Jahr 1552, während des Zweiten Markgrafenkrieg gegen Markgraf Albrecht Alcibiades von Brandenburg-Kulmbach (1522–1557), wurde sie mit dem gesamten Marktort Wöhrd auf Befehl der Nürnberger Obrigkeit niedergebrannt.
Ein Kirchenneubau, errichtet auf den Fundamenten des Vorgängerbaus, konnte im Jahr 1564 eingeweiht werden. Renovierungen in den Jahren 1679 im barocken sowie 1835 und 1886 im neogotischen Stil veränderten den Eindruck im Kircheninnenraum völlig.
Zunächst versetzte der Architekt Karl Alexander Heideloff (1789–1865) ab 1835 sämtliche von Nürnberger Patrizierfamilien gestiftete Glasmalereien im Kircheninneren, darunter auch Scheiben der Familie Tucher, in die fünf Fenster des Chores. Die barocke Ausstattung ließ er ebenso wie alle Bodengrabsteine entfernen, darunter auch viele von in der Kirche bestatteten schwedischen Offizieren aus dem Dreißigjährigen Krieg. Die Erneuerung des Kircheninnenraums erfolgte 1886 nach den Plänen des Architekten Theodor Eyrich (1838–1907) im Stil der Gotik. Der Neuplanung fiel die 1614 eingezogene Tucherempore im Chor zum Opfer. Die zuvor im Chorraum vereinigten Glasmalereien verteilte er wieder auf den gesamten Kirchenraum. Eyrich ließ auch die Holzdecke aus dem Jahr 1557 abnehmen, der Chor erhielt stattdessen ein gotisierendes Kreuzrippengewölbe aus Stuck. Im Zweiten Weltkrieg brannte die Kirche total aus. Ihr Neuaufbau erfolgte in den Jahren 1955/1956. mit einem wiederum veränderten Innenraum im zeitgenössischen Stil (Abb. 4 und Abb. 4a). Glücklicherweise konnten jedoch einige der geretteten Kunstgegenstände aus der Kirche in das wieder aufgebaute Gotteshaus integriert werden.
Pfründe und Stiftungen fürs Seelenheil
Schon früh waren durch die Familie Tucher Stiftungen an die Kirche erfolgt. Beispielsweise stiftete Anna Groland (1366–1432), eine geborene Tucher, in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts eine sogenannte «Ewige Messe». Ein eigens dafür angestellter Geistlicher wurde verpflichtet, wöchentlich vier Messen für ihr Seelenheil vor einem dafür neu errichteten Altar abzuhalten, der dem Heiligen Leonhard gewidmet war. Zur Sicherung dieser Pfründe – ein Kirchenamt, bei dem für den Unterhalt des Seelsorgers gesorgt wurde – gab die Familie jährlich Erzeugnisse von zwei Bauernhöfen, wie Getreide, Käse und Eier, aber auch Hühner und gemästete Gänse, außerdem Haushaltsgegenstände sowie Kirchengerät und Messgewänder. Auch nach der Reformation behielt die Familie ihre Stiftertätigkeit für die Bartholomäuskirche bei.
Tuchersches Wappenfenster
Wie die Nürnberger Hauptkirchen St. Sebald und St. Lorenz, war auch die Wöhrder Kirche mit zahlreichen bunten Glasfenstern patrizischer Familien ausgestattet, die dort heute im Chor zu sehen sind. Größtenteils stammen sie aus dem 1557 abgebrochenen Karmeliterkloster. Linhart II. Tucher (1487–1568) ließ beim Wiederaufbau für den Chor 1557/1558 sechs gemalte Fenster von Sebald Hirsvogel anfertigen, einem Mitglied der bekannten Nürnberger Glasmalerfamilie. Vier der Scheiben sind heute noch in einem der Rundbogenfenster vorhanden. Sie zeigen Moses mit der ehernen Schlange und Christus am Kreuz (Abb. 5 und Abb. 5a).
Darunter befindet sich jeweils eine Scheibe mit dem Tucher-Wappen. Nach einer Zeichnung in den «Monumenta» befand sich ehemals in dem Rundbogen oberhalb der vier Scheiben noch eine Darstellung der Dreifaltigkeit (Abb. 6).
Die biblischen Darstellungen thematisieren die Rettung des Menschen durch Gott. So wie er das Volk Israel beim Zug durch die Wüste durch das Standbild der Ehernen Schlange vor tödlichen Schlangenbissen rettete, so soll er auch den Menschen heilen, der auf den gekreuzigten Jesus blickt. Bereits im Mittelalter standen sich die beiden alt- und neutestamentarischen Szenen in Buch- und Glasmalerei gegenüber.
Letzte Ruhe
Kaum einsehbar für Kirchenbesucher hängt im Chor, über dem Eingang zur heutigen Sakristei, ein kleines, rundes Bronzeepitaph (Abb. 7). Es ist eines von zwei Wappenmedaillons, die einst auf zwei Grabplatten angebracht waren, wie wir dank einer Abbildung in den «Tucherischen Monumenta» wissen (Abb. 8). Beide Abdeckungen sind nicht erhalten. Eine Grabplatte besaß ein heute nicht mehr vorhandenes Bronzeschild mit den Allianzwappen der Familien Tucher und Scheurl umgeben von einem Lorbeerkranz (im Bild oben). Es verweist auf die Eheleute Paulus IV. Tucher (1524–1603) und Ursula Scheurl (1529–1587). In den Ecken der Platte finden sich zusätzlich die Wappen der Eltern des Paares, Leonhard Tucher (1487–1568) und seiner Frau Katharina Nützel (gest. 1550) sowie Albrecht Scheurl (nach 1481–1531) und Anna Zingel (1502–1557).
Nach dem Tod seiner Frau Ursula Scheurl 1587 hatte Paulus IV. Tucher den Bau einer zweifachen Familiengruft veranlasst. Sie lag im Chor der Bartholomäuskirche hinter dem Hauptaltar. Hier ließ Paulus IV. Tucher seine Frau und zwei seiner Kinder bestatten. Er selbst folgte 1603. Lange Zeit befand sich dort die Grablege der älteren Linie der Familie. Bis 1804 fanden 68 Mitglieder der Familie hier ihre letzte Ruhe.
Die zweite Grabplatte zeigt in einem ebenfalls runden Epitaph, die Wappen der Familien Tucher, Imhoff und Peller (im Bild unten). Ursprünglich bedeckte die Marmorplatte eine Gruft, in der zwei große Särge und mehrere Kindersärge standen. In der Gruft selbst war die Jahreszahl 1681 zu finden. Dank der «Monumenta»-Zeichnungen lässt sich dieses Epitaph Philipp Jakob III. Tucher (1624–1690) zuordnen, der in Wöhrd bestattet wurde. Sein Wappen und die seiner beiden Frauen Hedwig Imhoff (1632–1662) und Maria Eleonora Peller (1644–1681) sind auf dem Bronzeschild zu sehen. Nur dieses kleine Bronzeschild über der Sakristeitür zeugt noch von der letzten Ruhestätte vieler Tucher (Abb. 8a).
Erinnerung und Heilserwartung
Eine weitere Stiftung Paul IV. Tuchers wurde bei dem Brand 1943 vernichtet. Nur dank der «Monumenta» wissen wir von ihr. Zwischen 1587 und 1590 hat Paul Tucher das sogenannte Tuchersche Epitaph malen lassen, das seinen Platz ehemals an der Sakristeiwand über der Nordempore hatte. Dargestellt sind wiederum die auf das Heil durch die Gnade Gottes verweisenden Darstellungen von Moses und der eherne Schlange sowie von Johannes dem Täufer, der auf den gekreuzigten Jesus hinweist. Zur Verdeutlichung, wem diese Stiftung zu verdanken ist, ist darunter der Stifter mit seiner Familie zu sehen. Die Rahmung des Epitaphs bekrönt das von Akanthuslaub umrankte Wappen von Paulus IV. Tucher (1524–1603) und seiner Frau Ursula Scheurl (1529–1587).
Eventuell handelte es sich bei dem Gemälde um ein Werk des Nürnberger Malers Paulus Juvenell (1579–1643). Unter dem Epitaph listete einst eine Inschriftentafel die Namen von 15 zwischen 1587 und 1618 verstorbenen Angehörigen der Familie Tucher auf.
Berühmter Komponist entwirft Disposition für die neue Orgel
Bereits 1570 wurde in der Bartholomäuskirche eine Orgel eingeweiht. Für ihre Anschaffung stiftete Franz Tucher 25 fl. Mit den Jahren wurde das Instrument immer reparaturbedürftiger. Auf Betreiben des Komponisten Johann Pachelbel (1653–1706), erhielt 1701 der Orgelbauer Adam Ernst Reinhard (1670–1756) den Auftrag zum Bau einer neuen Orgel.
Für die künstlerische Gestaltung des Orgelprospektes mit Laub- und Akanthuswerk, Engelsköpfen und den Tucherwappen beauftragte Paul XII. Tucher (1656–1709) den Nürnberger Bildhauer Johann Leonhard Bromig (1670–1740), der schon mehrfach für die Familie tätig gewesen war. Eine Zeichnung in den «Monumenta» gibt eine Vorstellung von der reich mit Schnitzwerk verzierten Tucher-Orgel auf der Westempore (Abb. 10). Paul XII. Tucher stiftete nicht nur die Orgel, sondern gleichzeitig die Besoldung eines Organisten und eines Vorsingers. Erst 1887 fügte der Oettinger Orgelbauer Georg Friedrich Steinmeyer (1819–1901) eine neue Orgel in das bestehende, barocke Gehäuse ein. Leider wurden sie und ein ebenfalls von Johann Leonhard Bromig geschaffenes, prächtiges Marmordenkmal für den 1709 verstorbenen Paulus XII. Tucher von Simmelsdorf, das im Chor angebracht war, während der Kriegswirren zerstört (Abb. 11). Die heutige Orgel stammt aus dem Jahr 1961.
Supraporte mit Tucherwappen und Lesepult
Die «Tucherischen Monumenta» verzeichnen noch weitere Werke, die sich leider nicht erhalten haben. Dazu gehört u.a. eine Supraporte, ein gemalter Türaufsatz, auf der die Auferstehung Christi, Gottvater und Christus mit der Erdkugel zu sehen waren sowie die Himmelfahrt Christi mit den Aposteln (Abb. 12). Unbekannt ist auch ihr ursprünglicher Anbringungsort – einzig, dass sie sich in der Bartholomäuskirche befand, ist durch die Zeichnung belegt. Ebenso unbekannt ist der Verbleib eines Messgewandes und eines Lesepultes mit Tucherwappen, auf dem auf der Zeichnung das 1667 von Tobias IV. Tucher (1642–1674) gestiftete Gesangbuch liegt (Abb. 13). Vermutlich wurden auch diese Gegenstände 1943 ein Opfer des verheerenden Brandes nach einem Bombenangriff.
Geistliche Stiftungen, wie die «Ewige Messe» durch Anna Groland (1366–1432), dienten erstrangig dem persönlichen Seelenheil. Zugleich fungierten sie als oftmals von bekannten Künstlern aufwendig gestaltete Kunstwerke als Mittel der Repräsentation. Letztendlich zeugen sie aber auch von einer tiefen Verbundenheit der Familie Tucher mit dem kleinen Gotteshaus in Wöhrd.
- «Geheime Verlässe der Herrn Älteren» Staatsarchiv Nürnberg (Rep. 60e, Rst. Nbg., Geheime Verlässe der Herrn Älteren, Bd. 9, fol. 635–636). [↩]