Im Januar 2015 jährte sich die Bombardierung des Tucherschlosses zum 70. Mal. Schon längst hatte ich als Museumsleiterin den Entschluss gefasst: An diese, in der bisherigen Museumskonzeption gänzlich unerwähnten, Ereignisse sollte unbedingt erinnert werden. Haben sie doch für die Geschichte des Hauses – wie auch exemplarisch für Nürnbergs End- und Nachkriegszeit – bis heute eine immense Bedeutung.
Tragischer Totalschaden und geglückter Wiederaufbau
Die historischen Fakten sind weitgehend bekannt: Die Zerstörung des Tucherschlosses war umfassend, nur drei Umfassungsmauern und Teile des Treppenturms blieben stehen. Noch Ende 1944 war wenigstens das bewegliche Inventar – Kunstwerke und Mobiliar – evakuiert und so gerettet worden. Erst 1953 erhielt die einsturzgefährdete Ruine aus Sicherheitsgründen ein Notdach. Von 1963 bis 1968 gelang der Wiederaufbau: auf Initiative und unter persönlicher finanzieller Beteiligung des Juristen Dr. Hans Christoph von Tucher. Die Architekten Fritz und Walter Mayer hatten die Oberbauleitung inne.
Das Haus wurde Anfang 1969 erstmals durch das Germanische Nationalmuseum als Museum «on Demand» öffentlich zugänglich gemacht. 1972 übergaben es die Erben Hans Christoph von Tuchers dem Freistaat Bayern und der Stadt Nürnberg zu gleichen Teilen. Seitdem wird das Tucherschloss als städtisches Museum betrieben: ab 1994 unter dem Dach des städtischen Museumsverbundes, seit 1998 mit festen Öffnungszeiten.
Erinnern am authentischen Ort
Schnell war klar: Eine Ausstellung, welche die Jahrzehnte von der Zerstörung des Anwesens bis zu dessen Einrichtung als öffentliches Museum beleuchten sollte, schien das adäquate Medium für die Vermittlung zu sein.
Ein entscheidendes Hindernis gab es allerdings. Alle, die das heutige Museum kennen, wissen um die Schwierigkeit, in seinen Räumlichkeiten eine Sonderausstellung zu konzipieren: Wir haben im wahrsten Sinne des Wortes ein «Luxus-Problem». Denn mit der Präsentation der kostbaren, teils noch aus der Originalausstattung des Schlosses stammenden Kunstwerke am authentischen Ort vermitteln wir den Besuchenden auf allen Stockwerken exemplarisch eine Vorstellung, wie einst der Wohn- und Lebensraum einer wohlhabenden Patrizierfamilie ausgesehen haben könnte. Dieses Konzept wird vom Publikum hochgeschätzt, bedeutet aber gleichzeitig: Unser Museum ist voll eingerichtet und besitzt keinen Innenraum für Sonderausstellungen.
Ein Zuschuss der Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen in Bayern machte noch Ende 2015 eine Optimierung des Erdgeschosses möglich. So konnten wir eine kleine «Enklave» für Sonderpräsentationen schaffen. Denn die Hälfte der Eingangshalle ließen wir bestmöglich «entleeren»: Seitdem ist dieser Teil des Museumsfoyers unter dem spätgotischen Sternrippengewölbe, vom berühmten Verkündigungsfenster auf der Südseite/Straßenseite bis zum Eingang in unsere «Schatzkammern» im Norden, prinzipiell frei zu nutzen – ein unschätzbarer Gewinn.
Ausstellungsexperiment auf wenigen Quadratmetern
Allerdings liefern die nur knapp 45 Quadratmetern eine ausgesprochen beschränkte Grundfläche für Präsentationen. Denn bloß maximal acht schmale Stellwandtafeln haben hier Platz. Wie gelingt es also, möglichst viel Information inhaltlich sinnvoll und optisch ansprechend auf kleinster Fläche zu vermitteln?
Die Ausstellungskonzeption wurde für mich und meine damalige Praktikantin Nadine Ballenberger zum echten Experiment. Wir mussten die im Archiv recherchierten historischen Fakten notgedrungen extrem verdichten und uns auf die exemplarische Herausstellung von Einzelaspekten fokussieren: z.B. Stationen der Schlossgeschichte, Sicherung in und nach dem Krieg, Initiative zum Wiederaufbau, patrizisches Wohnen und museale Präsentation. Wahrlich nicht einfach.
Gleichermaßen herausfordernd war die Planung der Gestaltung. Denn diese sollte auf engstem Raum maximale Wirkung erzeugen und Emotionen auslösen. Dafür holten wir Christian Bauer und Christian Wolff vom Nürnberger Medienbüro bauer & bauer GmbH an Bord. Bilder sagen bekanntlich mehr als 1000 Worte: So feilten wir gemeinsam an einer Inszenierung mit eindrucksvollen Großfotos, deren Originale wir im Nürnberger Stadtarchiv aufgespürt hatten. Diese sollten die Geschichte des Schlösschens in Vorkriegszeiten, seine tragische Zerstörung durch die Bombardierung, bis hin zu seinem geglückten Wiederaufbau in den späten 1960ern erzählen: beispielhaft und mit «Wow-Effekt». Enorm hilfreich für die angedachte Platzierung waren 3D-Computerskizzen und die «Ausstellung in der Box», ein maßstabsgetreues Modell des Ausstellungsraums mit allen geplanten Einbauten in einem Schuhkarton.
Kojen und Dekonstruktivismus
Zu vier versetzten Kojen zusammengestellte Stellwände ermöglichten ein echtes räumliches Erleben der Ausstellung: Man konnte sie im wahrsten Sinn durchlaufen, für die Schlossgeschichte weitere wichtige Themenschwerpunkte – wie «Rund ums Egidienviertel: Städtebauliche Nachbarschaft» oder «Tucher’sche Frührenaissance: Besondere Architekturdetails» – erschließen und dabei neue Blickachsen erhaschen. Je drei wandfüllende Fotoabzüge suggerierten sogar den Verlauf eines ganzen Straßenzugs sowie die monumentale Gesamtansicht der beschädigten Schlossfassade.
Aufragende Trümmerteile, die auf vielen historischen Aufnahmen erkennbar sind, lieferten die Inspiration für die Anbringung von Fotos und Bildunterschriften. Statt rechteckige Abzüge gerade auf die Wandflächen zu setzen, beschnitten wir sie schräg und brachten sie schief an: Zunächst verwirrend, weil höchst ungewöhnlich, korrespondierte dieser «Dekonstruktivismus» hervorragend mit dem Thema Zerstörung. Digitalisierte Archivalien wie persönliche und amtliche Korrespondenzen, Zeitungsartikel und Pläne, Schlossansichten des 19. Jahrhunderts in Gemälden und Grafiken, das seit 1893 geführte Gästebuch des Schlosses und andere Objekte vervollständigten unsere Foto-Präsentation.
Die Ausstellung «Tucherschloss in Trümmern! Zerstörung und Wiederaufbau eines Nürnberger Kleinods» wurde mir zur «Benchmark» für zukünftige historische Ausstellungen. Bewies ihr Erfolg doch: Für eine konzentrierte und sensibel inszenierte Erzählung inhaltlich anspruchsvoller Themen «taugt» unser kleines Museumsfoyer bestens.
„Die Brauerei muss gehen!“
Schon zum Ende der Sonderpräsentation war mir klar: Es wäre vollkommen widersinnig, die erarbeitete und für die Hausgeschichte so bedeutsame Thematik von Zerstörung, Wiederaufbauleistung und Museumsgenese nicht in die bestehende Dauerausstellung einfließen zu lassen. Zugleich wäre damit der Grundstein für deren weitere Überarbeitung gelegt. Und welche «Verschwendung» wäre es, nicht gleich auch die unkonventionelle Grafik der Präsentation zu nutzen. Jedoch: Wie ließ sich eine solche neue Museumseinheit in die historisch eingerichtete «Wohnwelt» integrieren?
Die Lösung fand ich im 1. Obergeschoss des Museums. Vom dortigen Vorraum abgehend, führen Stufen in einen kleinen fensterlosen und kaum beachteten Annexraum hinunter. Dieser war – illustriert durch gerahmte kleinformatige Schwarzweißfotografien, ein originales Emaille-Werbeschild sowie Bierflaschen, Bierkrüge und Bierfass – bislang eher behelfsmäßig der Tucher-Brauerei gewidmet. Kurze Abwägung des Für und Wider, dann fiel die Entscheidung: «Die Brauerei muss gehen!» Vorerst zumindest. So unscheinbar dieser Raum war, für das neu angedachte Thema schien er schlichtweg perfekt. Denn durch sein tieferes Niveau war er von den übrigen Wohnräumen abgesetzt. So konnte sich hier eine eigene «Wirklichkeitsebene» entfalten – sowohl inhaltlich als auch gestalterisch.
Lücke zu, Lücke auf
Die Herausforderung dabei: Nur noch knapp 12 Quadratmeter Raumgröße machten eine weitere starke inhaltliche Komprimierung der Ereignisse notwendig. Die grundlegenden Gestaltungsideen, die wir bereits für das «Ausstellungsexperiment» entwickelt hatten, blieben gesetzt: Übernahme der kräftigen Grüntöne der Stellwände als Fond für kleinere Schwarzweißfotos auf allen Raumwänden; Suggestion räumlicher Weite durch deckenhohe, schräg gestellte Paneele mit großformatigen Fotografien; Fotoblöcke zum «Blättern» chronologischer Ereignisse; Faksimiles wichtiger Schriftstücke und Kleinstobjekte als haptisch-taktile Momente. Eine auf den Fußboden gedruckte, «begehbare» Großaufnahme des zerbombten Egidienviertels wurde zum zusätzlichen viel beachteten Bildmotiv.
So ist es gelungen, die Sonderpräsentation auf engstem Raum dauerhaft im Museum zu verorten. Die Besuchenden können heute die entscheidenden und emotional stark berührenden Momente der Schlossgeschichte ab der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts anschaulich nachvollziehen.
Und nun? Die geschlossene Lücke im Erzählstrang hat eine neue geöffnet: Auf die museale Darstellung der Tucher-Brauerei wollen wir nicht verzichten. Ist sie doch für die Wirtschaftsgeschichte Nürnbergs im 19. Jahrhundert und den Anteil der Familie Tucher an deren Entwicklung von enormer Bedeutung. Eine der künftigen musealen Aufgaben wird es also sein, den geeignetsten Platz für diese Präsentation zu finden …